SPD Rosbach/Rodheim - Haushaltsrede von Dr. Rathjens

Veröffentlicht am 13.03.2022 in Kommunalpolitik

Haushaltsrede zum Haushaltsentwurf 2022 der Stadt Rosbach v.d.H.

Dr. Hans-Peter Rathjens, Vorsitzender der SPD-Fraktion

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin, meine Damen und Herren,

heute haben wir über den Haushaltsentwurf 2022 zu entscheiden, den Sie, Herr Bürgermeister Maar, in Ihrer Funktion als Stadtkämmerer Ende letzten Jahres ins Parlament eingebracht haben. Der Entwurf lässt sich zusammenfassend als „ambitioniert, aber nicht frei von Risiken“ beschreiben. Sollten diese später aufzuzeigenden Risiken Realität werden, können wir sehr schnell vor die Notwendigkeit gestellt werden, entweder das Investitionsprogramm deutlich zeitlich zu strecken, zu kürzen bzw. neu zu strukturieren, ein Hauskonsolidierungsprogramm aufzustellen oder sogar die Steuern zu erhöhen.

Doch selbst, wenn die Risiken nicht Realität werden, muss jeder von uns für sich selbst heute folgende Frage beantworten: Ist es mit den eigenen politischen Grundsätzen zu vereinbaren, einer deutlichen Erhöhung des Schuldenstandes zuzustimmen, um ein ehrgeiziges Investitionsprogramm zu finanzieren? Sollten Sie für sich aus grundsätzlichen Überlegungen zu einem „Nein“ kommen, dann müssen Sie konsequenterweise zumindest das Investitionsprogramm in der hier vorgelegten Form ablehnen. Sollten Sie zu einem „Ja“ gelangen, hat sich zwar die politische Forderung nach einer Einhaltung einer Schuldenbremse, so wie im Grundgesetz und in der Hessischen Verfassung verankert, mit dem heutigen Abend nicht grundsätzlich erledigt, aber Forderung und eigenes Abstimmungsverhalten stehen dann in einem diametralen Gegensatz zueinander. Für diese Dilemma-Situation gibt es nun mal keine Lösung. Übrigens: Der Magistrat und seine Mitglieder haben sich mit Vorlage des Haushalts mehrheitlich für eine deutliche Zunahme der Verschuldung ausgesprochen, was sicherlich nicht immer im Einklang mit der eigenen Parteiprogrammatik steht.

Bevor ich auf den Haushalt detaillierter eingehe, eine Anmerkung vorweg. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich zumindest eines verändert, und das ist die Zusammensetzung des Parlaments. Dass ich mir ein anderes Ergebnis für meine Partei in der Kommunalwahl gewünscht hätte, wird sicherlich keinen überraschen und soll auch überhaupt nicht schöngeredet werden. Und dass sich andere Parteien und Gruppierungen über ihr eigenes Abschneiden bei einem Stimmenzuwachs freuen, halte ich für ganz selbstverständlich.

Für selbstverständlich halte ich aber auch, dass – und zwar unabhängig vom eigenen Wahlergebnis - die gewählten Mitglieder ihr Mandat wahrnehmen. Es gibt eine Pflicht zur Teilnahme. In §1 unserer Geschäftsordnung heißt es: „Die Stadtverordneten sind verpflichtet, an den Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung und der anderen Gremien, deren Mitglieder sie sind, teilzunehmen.“ Es wird immer gute Gründe geben, dass der eine oder andere mal nicht kann, was auch völlig in Ordnung geht. Aber wenn von einer 9-köpfigen Fraktion nur vier an einer Stadtverordnetensitzung teilnehmen, ist dies eine grobe Missachtung des Wählerwillens. Erschwerend kommt dann noch hinzu, wenn in dieser Stadtverordnetenversammlung – wenn auch keine finale, so doch wichtige - Weichenstellung über das Procedere hinsichtlich des Auswahlprozesses über die Trägerschaft der Rodheimer Kindertagesstätte zur Abstimmung steht. In dieser Situation, Herr Egerter, hat die SPD-Fraktion den Bürgermeister unterstützt, aber nicht die CDU-Fraktion mit ihrer vollen Fraktionsstärke, was vermutlich zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Aber, es gibt ja noch eine zweite Chance: Eine finale Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung über die Trägerschaft ist noch nicht gefällt. Es wurde lediglich das Verfahren festgelegt, das für sich genommen jedoch mit einigem Zeitaufwand verbunden ist.      

So, nun zum Haushalt! Dreh- und Angelpunkt des vorgelegten Entwurfs ist der Investitionshaushalt und dessen Finanzierung. Folgende Projekte stechen ins Auge:

  • Schaffung bzw. Ertüchtigung des Sportstandortes Ober-Rosbach
  • Umbau des Alten Rathauses in Ober-Rosbach
  • Sanierung des Rosbacher Feuerwehrhauses
  • Sanierung der Haingrabenhalle in Nieder-Rosbach
  • Bau eines Jugendplatzes in Nieder-Rosbach
  • Entwicklung eines Wohngebietes in Rodheim
  • Neubau einer KiTa in Rodheim
  • Sanierung des Rodheimer Schwimmbades
  • Erweiterung bzw. Erneuerung des Fuhrparks von Feuerwehr und Bauhof
  • Sanierung von städtischen Liegenschaften
  • Umsetzung eines Straßenausbauprogramms
  • Ausbau von Radwanderwegen
  • Feldwegeausbau
  • Ankauf von Grundstücken

Es ließe sich an dieser Stelle noch mehr aufführen. Jedes Investitionsprojekt ist sinnvoll und für sich genommen gut begründet. Für den Zeitraum 2022 bis 2025 beläuft sich das geplante Investitionsvolumen auf knapp 50,0 Mio. €. Zahlen, die mit Stolz und politischer Genugtuung verkündet werden. Natürlich muss sich dann automatisch die Frage stellen: Woher kommt das Geld und wer bezahlt das alles? Um die Fragen drücken wir uns zumeist gerne ein wenig rum und die Antwort fällt auch nicht immer angenehm aus. Beides gehört aber nun einmal mit zu einer verantwortungsvollen Kommunalpolitik.

Im Idealfall gelingt es im Ergebnishaushalt aus laufender Verwaltungstätigkeit so hohe Überschüsse zu erwirtschaften, dass auf diesem Wege alle Investitionen problemlos finanziert werden können. Reichen die Mittel aber nicht aus und sind keine entsprechenden Reserven vorhanden, bleibt nur noch der Weg der Kreditaufnahme. Und genau dieser Weg wird hier in der mittelfristigen Finanzplanung beschritten. Für den Zeitraum 2022 bis 2025 beläuft sich die Brutto-Kreditaufnahme auf 25,3 Mio. € und die Netto-Kreditaufnahme auf 13,3 Mio. €. Der Schuldenstadt wird gemäß Planung von rund 23,5 Mio. € Ende 2021 auf gut 36 Mio. € Ende 2025 klettern. Nun, um diese Zahlen etwas griffiger und fassbarer zu machen: Die Schuldenquote - gemessen als Schuldenstand in % der Einnahmen aus laufender Verwaltungstätigkeit - springt von rund 80,0% Ende 2021 auf gut 103,0% Ende 2025.  Das muss man sich noch einmal ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen: In einem Zeitraum von nur vier Jahren macht die geplante Schuldenquote der Stadt Rosbach v.d.H einen Satz um 20 Prozentpunkte nach oben.   

Ist dies nun das Ende der Fahnenstange? Hier ist Vorsicht angesagt! Um nur ein Beispiel anzuführen: Im vorgelegten Investitionsprogramm sind die Kosten der KiTa Rodheim mit 8,2 Mio. € angesetzt. In dem aktualisierten Beschlussvorschlag wird nun von maximal 9,7 Mio. € gesprochen. Falls diese Zahl Eingang ins Investitionsprogamm findet – was ja nur folgerichtig wäre -, müsste die Kreditaufnahme nochmals rechnerisch um 1,5 Mio. € nach oben angepasst werden.

Ein weiterer Punkt: In der mittelfristigen Finanzplanung wird unterstellt, dass die Stadt nach wie vor Kredite zu einem Zinssatz von lediglich 0,5% aufnehmen kann. 2024 und 2025 ist eine Brutto-Kreditaufnahme von insgesamt 19 Mio. € geplant. Wenn der Zinssatz unverändert 0,5% beträgt, wird der Haushalt mit Zinskosten in Höhe von 95.000 € belastet. Steigt der Zinssatz jedoch auf 2,5%, springen die Zinskosten von 95.000 € auf 475.00 €. Der höhere Zinsaufwand hat nun zur Konsequenz, dass der Überschuss aus laufender Verwaltungstätigkeit um 380.000 € gedrückt wird, was dann eine erneut höhere Kreditaufnahme nach sich zieht. Dies ist ein perfekt negativer Rückkopplungsprozess zwischen Ergebnis- und Finanzhaushalt, der natürlich bei einem Zinsrückgang entsprechend positiv wirk. Nur, die Zeiten einer extrem expansiven Geldpolitik dürften bald hinter uns liegen. Die amerikanische Notenbank hat die Zinswende angekündigt, die EZB dürfte folgen, zumal die Gefahr einer sich selbst verstärkenden Inflationsspirale ja Tag für Tag immer offensichtlicher wird.

Auch mit dem Thema Inflation müssen wir uns aus Haushaltssicht stärker auseinandersetzen. Die Kosten des vorliegenden Investitionsprogramms - dies zeigt ja schon allein die Diskussion um die KiTa Rodheim deutlich - werden mit hoher, ja mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den nächsten Monaten spürbar nach oben angepasst werden müssen. Dies gilt aber auch für wesentliche Teile des Ergebnishaushalts. Wiederum ein nur kleines Beispiel: Der Bauhof hatte im Jahre 2020 Treibstoffkosten in Höhe von 16.627,12 €. Im Entwurf sind für die Jahre 2022 bis 2025 jeweils lediglich 17.000 € angesetzt. Die Realität an den Tankstellen zeichnet da aber ein ganz anderes Bild. Wenn Sie sich mit den Zahlen für die geplanten Ausgaben aus laufender Verwaltungstätigkeit auseinandersetzen, werden Sie feststellen, dass diese im Jahre 2025 nur um 3,7% höher angesetzt wurden als im Jahre 2022, also eine Steigerungsrate von lediglich 1,2% pro Jahr ausweisen. Hingegen wurde bei Einnahmen für den angegebenen Zeitraum ein erfreulich kräftiges Plus von 12,9% unterstellt, also von 4,1% pro Jahr. Nehmen wir einmal ganz vorsichtig an, dass die Auszahlungen aus laufender Verwaltungstätigkeit um 2,0% pro Jahr zunehmen, sinkt der kumulierte Überschuss aus Verwaltungstätigkeit von 13,7 Mio. € auf 10,7 Mio. €, also um 3 Mio. €. Um diese 3 Mio. € müsste dann natürlich die Brutto-Kreditaufnahme höher ausfallen.

Folgt nun aus dem Gesagten die Konsequenz, den Haushalt abzulehnen oder den vorgelegten Entwurf nochmals zu überplanen. Nein, das ist nicht der Fall! Es ist aber ein Appell an uns alle, vor dem Hintergrund eines sich gerade in den letzten Monaten global stark verändernden gesamtwirtschaftlichen – und auch politischen - Umfeldes die Risiken der mittelfristigen Haushaltsplanung mit gebotener kaufmännischer Vorsicht im Auge zu behalten. Mit Blick auf die nächsten Monate erscheint es zwingend herauszuarbeiten, welche größeren Investitionsprojekte möglicherweise geschoben oder gestreckt werden können. Wenn ein Investitionsprojekt einmal auf die Schiene gesetzt ist, werden wir es mitten in der Fahrt nicht mehr stoppen können. Es beabsichtigt ja wohl keiner von uns, den Bau der KiTa Rodheim je nach Finanzlage für einige Zeit auf Eis zu legen. Nun möge mir bitte nachher keiner kommen, dass die Streichung bzw. Kürzung der Gelder für ein Streuobstwiesenkataster, der Gelder für einen Seniorenplan, der Gelder für Spielplatzkonzept oder der Gelder für eine Organisationsuntersuchung entscheidende Beiträge zur Ausgabenreduzierung darstellen. Da müssen dann schon andere Argumente auf den Tisch!

Eingangs hatte ich das Thema Schuldenbremse angesprochen. Hier haben wir in der Bundesrepublik eine ganz merkwürdige und nach meiner Einschätzung eine in sich nicht stimmige, ja sogar verstörende Rechtslage. In Artikel 109 Absatz 3 des Grundgesetzes heißt es klipp und klar: „Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ Zwar werden noch Ausnahmen definiert, entscheidend ist jedoch der Grundsatz. Eine solche strikte Vorgabe gibt es auf kommunaler Ebene nicht. In Hessen gilt für die Kommunalpolitik die HGO, die zwar Begrenzungen für die Kreditaufnahme definiert, aber sie nicht prinzipiell ausschließt. So gesehen, ist der finanzielle Gestaltungsspielraum auf kommunaler Ebene höher als auf Landes- und auf Bundesebene. Würden die gleichen Spielregeln auf kommunaler wie auf Landes- und Bundesebene gelten, wären wir gezwungen, das hier vorgelegte Investitionsprogramm in die Tonne zu kloppen. Es wäre schlicht und einfach nicht finanzier- und damit umsetzbar. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet, Herr Bürgermeister, sind Sie ganz, ganz weit weg von der CDU-Programmatik. Jeder von uns muss sich natürlich die Frage stellen, inwieweit das konkrete Handeln vor Ort mit dem eigenen Parteiprogramm im Einklang steht. Das gilt insbesondere für SPD, Grüne und FDP, die ja auch Verantwortung an überregionaler Stelle tragen. Die schlechteste Lösung wäre die Auslagerung in Schattenhaushalte, die ja auf Landesebene vor wenigen Monaten vor dem Hessischen Verfassungsgericht gescheitert ist.    

Nun welche Antwort möchte ich auf dieses grundsätzliche Problem einer öffentlichen Schuldenbremse geben. Die treffende Antwort findet sich in dem „Lehrbuch der Finanzwissenschaft“ von Lorenz von Stein. Er schreibt:

„Ein Staat ohne Staatsschuld t(h)ut entweder zu wenig für seine Zukunft, oder er fordert zu viel von seiner Gegenwart.“

Lorenz von Stein wurde am 15. November 1815 im damals dänischen Borby bei Eckernförde geboren und starb am 23. September 1890 im österreichischen Hadersdorf-Weidlingau. Er war Staatsrechtslehrer, Soziologe und Nationalökonom. Seiner Antwort ist nichts hinzufügen.

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion wird dem Haushaltsentwurf 2022 und dem Investitionsprogramm zustimmen. Auf die Risiken eines ambitionierten Investitionsprogramms wurde hingewiesen. Die Devise in der Umsetzung heißt daher für uns: „Auf Sicht fahren, Prioritäten setzen, aufpassen, dass uns die Finanzen nicht aus dem Ruder laufen und im Fall der Fälle entschlossen gegensteuern.“